Was nett klingt, ist nicht unbedingt nett gemeint


21.05.2014

Wenn Sie Bewerbungsunterlagen durchsehen, sind natürlich Zeugnisse früherer Arbeitgeber für Sie besonders interessant. Denn anhand dieser Zeugnisse können Sie sehen, wie die Mitarbeiterin vorher zurechtgekommen ist und wie ihre Leistungen von anderen eingeschätzt wurden. Schwierig ist es nur, solche Zeugnisse richtig zu verstehen. Denn nett und freundlich klingen sie alle. Informieren Sie sich hier, worauf Sie bei der „Decodierung“ eines Zeugnisses unbedingt achten sollten.

Praxisbeispiel 
Der Leiterin der KiTa „Sausewind“ liegen mehrere Bewerbungen für eine Erzieherstelle vor. Sie liest sie aufmerksam durch. Ihr fällt dann ein Zeugnis auf, das doch sehr kurz ist und auch sonst irgendwie merkwürdig wirkt, obwohl der Tenor durchweg freundlich ist. Die Leiterin überlegt, ob die vorherige Chefin ihr vielleicht eine versteckte Botschaft zukommen lassen wollte.

Rechtlicher Hintergrund
Jede Mitarbeiterin hat auf Wunsch Anspruch auf ein qualifiziertes Arbeitszeugnis. Solche Zeugnisse haben erheblichen Einfluss auf die weitere berufliche Zukunft der Beurteilten. Daher hat die Rechtsprechung in zahlreichen Urteilen klargestellt, dass Zeugnisse grundsätzlich zwar wahr, aber auch wohlwollend formuliert werden müssen.

Was bedeutet das für Sie?
In Bewerbungsunterlagen werden Sie vordergründig nur freundliche Beurteilungen finden. Wenn Sie diese aber nebeneinanderlegen, werden Sie feststellen, dass einige Zeugnisse netter sind als andere. Wichtig ist, dass Sie sich mit der „Sprache der Zeugnisse“ beschäftigen. Nur so können Sie verstehen, was Ihnen Ihre Vorgängerin über eine Mitarbeiterin tatsächlich sagen will.

Das ist zu tun
Entschlüsseln Sie Schritt für Schritt die wirkliche Botschaft, die sich oft hinter einem freundlich abgefassten Zeugnis verbirgt.

Schritt 1: Beachten Sie die äußere Form
Zeugnisse haben eine klar vorgegebene Form. Fehlt z. B. die Überschrift, wurde das Zeugnis nicht auf dem Briefkopf des Trägers geschrieben, fehlen persönliche Angaben zur Bewerberin oder ist das Zeugnis fleckig oder geknickt, sollten Sie hellhörig werden. Denn ein lieblos gestaltetes Zeugnis ist ein deutlicher Hinweis, dass es mit der Wertschätzung für die Mitarbeiterin nicht weit her ist.

Schritt 2: Achten Sie auf die Gewichtung von Inhalten
Ein Arbeitszeugnis sollte die Einrichtung und die Aufgaben der Mitarbeiterin vorstellen. Außerdem finden Sie im Regelfall eine Einschätzung der Leistungen, der Fachkompetenz, der Fortbildungswilligkeit und des Verhaltens der Mitarbeiterin. Wird z. B. die KiTa auf einer Seite vorgestellt, Aufgaben und Leistungen der Mitarbeiterin aber nur in wenigen Sätzen dargestellt, spricht das dafür, dass die Ex-Chefin hier wenig Positives zu berichten hatte.

Schritt 3: Analysieren Sie den Zeugnisinhalt
In Arbeitszeugnissen werden häufig Standardformulierungen benutzt. Um diese zu entschlüsseln, können Sie sich an der untenstehenden Übersicht orientieren:

Übersicht: Zeugnisformulierungen und ihre wirkliche Bedeutung

 

Formulierung Bedeutung
„ … stets zu unserer vollsten Zufriedenheit“ sehr gute Leistung
„ … stets zu unserer vollen Zufriedenheit“ gute Leistung
„ … zu unserer vollen Zufriedenheit“ befriedigende Leistung
„ … zu unserer Zufriedenheit“ ausreichende Leistung
„ … überwiegend zu unserer Zufriedenheit“ mangelhafte Leistung
„ … hat sich stets bemüht …“ ungenügende Leistung

 

Schritt 4: Überlegen Sie, ob etwas fehlt
In „schlechten“ Arbeitszeugnissen wird oft mehr weggelassen als geschrieben. Fehlen im Zeugnis Informationen, die Sie eigentlich erwarten können, ist dies ein Hinweis, dass etwas nicht stimmt. Wird z. B. das Verhalten der Mitarbeiterin gegenüber Kindern und Eltern gelobt, wirkt dies zunächst einmal positiv. Stutzig machen sollte Sie allerdings, dass hier eine Aussage zum Verhalten gegenüber den anderen Mitarbeiterinnen und Vorgesetzten fehlt. Eine solche Formulierung „riecht“ nach Ärger im Team und mit der KiTa-Leitung.

 

 

Anmerkung: Das folgende Zeugnis ist wirklich eines der schwächsten, das ich je gelesen habe. Offenbar in Unkenntnis der Rechtslage hat die Erzieherin es so hingenommen. Es wird ihr den weiteren beruflichen Werdegang erheblich erschweren und es ihr fast unmöglich machen, einen neuen Job zu finden.

 

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