Warum haben Kinder Vorurteile? 5 Schritte zu einer Erziehung ohne Ausgrenzung


30.04.2018

Vorurteile sind lebensnotwendig. Denn sie helfen uns, die Eindrücke und Informationen, denen wir ständig ausgesetzt sind, zu sortieren, zu bewerten und einzuschätzen. Ohne Vorurteile wären wir nicht in der Lage, uns in der Welt zurechtzufinden. Denn sie beruhen auch auf Erfahrungswerten und können uns vor Gefahren warnen. So gesehen sind Vorurteile etwas sehr Nützliches. Warum haben sie dann einen so schlechten Ruf?

Wir sortieren unsere Eindrücke unbewusst in „gut“ oder „böse“, „harmlos“ oder „gefährlich“. So verfälschen und verallgemeinern die Vorurteile unsere Wahrnehmung und können zu ungerechten und falschen Urteilen über Menschen führen. Vorurteile sind immer da, wichtig ist es, sich dieser bewusst zu werden. Wie Sie das in Ihrer täglichen Arbeit umsetzen, erfahren Sie nachfolgend. Nur so können Sie einen anderen Blickwinkel einnehmen. Gehen Sie hierzu in 5 Schritten vor.

Das müssen Sie zu Vorurteilen wissen

Von Beginn ihres Lebens an beobachten Kinder neugierig ihre Umgebung und ziehen ihre Schlüsse. Zusätzlich besitzen sie feine Antennen für die Reaktionen der Erwachsenen. Diese beeinflussen ihre Meinung darüber, was als gut oder schlecht, lieb oder böse, normal oder unnormal gilt. Und weil Kinder viele Einzelheiten noch nicht kennen, fällt ihr Urteil oft sehr hart und damit unzutreffend aus. Hier sind Sie als Erzieherin doppelt gefordert: Werden Sie sich Ihrer eigenen Urteile und Vorurteile und deren Wirkung auf die Kinder bewusst.

1. Schritt: „Ich bin ich!“ – Und das ist gut so

Die Kinder in ihren persönlichen Fähigkeiten und ihrer Identität zu stärken ist sicher Teil Ihrer Konzeption. Dennoch ist es wichtig, dass Sie bei jedem Kind überprüfen, dass es sich und seine Familie in seiner persönlichen Geschichte in Ihrem pädagogischen Alltag wiederfindet.

Das gelingt Ihnen, indem Sie z.B.

  • Bilderbücher anbieten, in denen die Hauptpersonen eine andere Hautfarbe haben,
  • Geschichten vorlesen, in denen die Kinder nur bei einem alleinerziehenden Elternteil aufwachsen,
  • die Puppenecke um Essgeschirr und Lebensmittel aus aller Welt erweitern,
  • die Verkleidungskiste mit Kleidung aus anderen Kulturkreisen ausstatten,
  • das Thema „Armut“ offen ansprechen,
  • die Kinder mit Schriftzeichen aus einem anderen Kulturkreis experimentieren lassen,
  • das Thema „Krankheit“ mit den Kindern besprechen,
  • Geschichten vorlesen und besprechen, in denen auch Menschen mit Behinderung vorkommen.

Eine einfache und wirksame Methode, alle Kinder und ihre Familien willkommen zu heißen, ist es, im Eingangsbereich eine Begrüßung in allen Sprachen, die aktuell in Ihrer Einrichtung gesprochen werden, anzubringen. Bitten Sie ausländische Eltern, Ihnen das Wort „willkommen“ in ihrer Sprache aufzuschreiben, und ergänzen Sie neue Sprachen. Im folgenden Kasten finden Sie dazu einige Übersetzungen. lassen. das Thema „Krankheit“ mit den Kindern besprechen. Geschichten vorlesen und besprechen, in denen auch Menschen mit Behinderung vorkommen.

Um den Kindern viele Identifikationsmöglichkeiten zu geben, ist es wichtig, einiges über die Geschichte und die Besonderheiten der einzelnen Familien zu erfahren. Bauen Sie dazu einen guten Kontakt zu den Eltern auf. Er entsteht sicher recht schnell, wenn sich die Familien in Ihrer Einrichtung wertgeschätzt fühlen. Geschichten vorlesen und besprechen, in denen auch Menschen mit Behinderung vorkommen.

Bitten Sie auch die Kinder, in regelmäßigen Abständen etwas Typisches aus ihrer Familie mitzubringen, wie beispielsweise eine Frühstückstasse, das Lieblingsspielzeug, typisches Essen, Fotos von Familienmitgliedern in traditioneller Kleidung usw. Fotografieren Sie die Gegenstände und gestalten Sie damit eine Ausstellung oder ein Familienbuch.

2. Schritt: „Du bist anders!“ – Erfahrungen mit Vielfalt

Über Besonderheiten zu sprechen ist die eine Sache – sie selbst zu erleben, ist eine noch viel intensivere Erfahrung. Das kennen Sie von sich selbst, wenn Sie z. B. eine fremde Kultur im Urlaub kennengelernt haben. Ermöglichen Sie den Kindern in Ihrer Einrichtung viele positive Erlebnisse mit den vielfältigen Erscheinungsformen des Lebens, z. B. indem Sie

  • mit einer muslimischen Familie den Beiram in Ihrer Einrichtung feiern oder die Familie von dem Fest erzählen lassen
  • die Schwester mit Downsyndrom gemeinsam mit der Mutter zum Hospitieren einladen
  • die Uroma eines Kindes bitten, von Zeiten großer Not zu erzählen
  • mit den Kindern Reime in verschiedenen Sprachen lernen
  • Bilderbücher mit anderen Schriftzeichen anschauen
  • Gerichte aus anderen Ländern zubereiten.

Praxis-Tipp: Das bekannte Kinderbuch „Gute Nacht, Willi Wiberg“ gibt es im Oettinger Verlag in der arabischen Übersetzung von Mona Henning und Dar Al-Muna. Wie alle arabischen Bücher wird es von rechts nach links gelesen. Die märchenhaft aussehende arabische Sprache wird so für alle Kindergartenkinder sichtbar, und die arabischen Familien erfahren, dass ihre Kultur bei Ihnen wertgeschätzt wird.

Möglicherweise stoßen Sie bei bestimmten Themen auf eigene Vorurteile, innere Unsicherheit oder gar Ablehnung, weil Sie selbst einer schwierigen Familiensituation entstammen. Dann ist es wichtig, dass Sie ehrlich zu sich sind und mit einer Kollegin darüber sprechen. Bitten Sie um kollegiale Beratung und Unterstützung, um das Problem anzugehen. Denn betroffene Kinder spüren, wenn bei Ihnen selbst etwas „nicht in Ordnung“ ist.


3. Schritt: „Das ist gemein!“ – Diskriminierung erkennen

Auseinandersetzungen sind erlaubt, Ausgrenzung nicht! Denn fair ausgetragene Konflikte auf Augenhöhe helfen den Kindern, sich besser kennen- und verstehen zu lernen. Ausgrenzungen dagegen verletzen und setzen die Würde des Kindes herab. Bereits im Alter von etwa 4 Jahren können Kinder Verhaltensweisen als „ungerecht“ oder „unwahr“ erkennen, die Menschen stigmatisieren oder ausgrenzen. Kinder besitzen ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsempfinden. Damit die Kinder Kinder über Diskriminierung kritisch nachdenken können, brauchen sie

  1. sachliche Informationen, damit sie Situationen und Hintergründe besser verstehen, und
  2. emotionalen Beistand, wenn sie z. B. gehänselt oder abgelehnt werden.

Bieten Sie den Kindern beides in Gesprächen an. Wenn Kinder mit Ihrer Hilfe Worte für unfaires Verhalten finden, lernen sie, es als solches zu erkennen und von sich zu weisen. Helfen Sie den Kindern, die Diskriminierung erfahren, ihre Gefühle und Gedanken auszusprechen. So wird auch den Kindern, die unfair sind, deutlich, was ihr Verhalten auslöst.

Achten Sie darauf, dass Sie die Konflikte nicht stellvertretend für die Kinder lösen. Nehmen Sie vielmehr die Rolle einer Mediatorin ein, die die Kinder anregt, eigene Lösungen zu finden. Das gelingt Ihnen, indem Sie folgende Punkte beachten:

  • Führen Sie in den Konflikt ein, indem Sie mit den Kindern einen ruhigen Bereich aufsuchen, Gesprächsregeln vereinbaren und auf Augenhöhe miteinander sprechen
  • Stellen Sie den Streit verbal dar, indem die Kinder ihren Standpunkt benennen. Lassen Sie die Kinder auch ihre Gefühle äußern, oder tun Sie es stellvertretend für die, die dazu noch nicht in der Lage sind
  • Helfen Sie, das Problem zu lösen, indem Sie die Kinder Lösungsvorschläge nennen lassen und sie sich mit Ihrer Hilfe für die akzeptabelste Lösung entscheiden können.

Um den Streit „offiziell“ zu beenden, verdeutlichen Sie die gefundene Lösung klar und lassen die Kinder die Einigung dann mit Handschlag besiegeln.

4. Schritt: „Nicht mit mir!“ – Aktiv werden gegen Diskriminierung

Den Grundstein dafür zu legen, dass Kinder zu mündigen Bürgern heranwachsen, ist ein wichtiges übergeordnetes Ziel Ihrer pädagogischen Arbeit. Wenn Kinder Diskriminierung und Ausgrenzung nicht nur als solche erkennen, sondern dagegen selbst aktiv werden, ist Ihnen ein entscheidender Schritt zu diesem Erziehungsziel gelungen.

Dazu ist es notwendig, dass die Kinder mit Ihrer Hilfe auch außerhalb Ihrer Einrichtung aktiv werden. Wo gibt es Möglichkeiten, dass sich die Kinder für benachteiligte Kinder engagieren? Das könnte z. B. ein Hilfsprojekt für Kinder in Russland sein, zu dem Sie über Ihre Gemeinde Kontakt haben, oder eine Aktion, bei der Kinder für andere Kinder Geburtstagspäckchen packen.

Nicht Ihr eigener Ehrgeiz sollte das Projekt vorantreiben, sondern die Ideen der Kinder. Dazu stellen Sie den Kindern die entsprechende Situation möglichst konkret und mit Bezügen zur eigenen Erfahrungswelt dar. Jetzt überlegen die Kinder selbst, was sie tun können. Lassen Sie sich hier tatsächlich auf die Ideen der Kinder ein!

Sie werden überrascht sein, wie kreativ Kinder sind und wie viele Möglichkeiten umsetzbar erscheinen. So erleben sich die Kinder als stark und fähig, solidarisch mit anderen für eine gerechte Sache einzutreten.

5. Schritt: „Schau hin!“ – Medien bewusst einsetzen

Im Bemühen um eine vorurteilsbewusste Atmosphäre haben Bücher und Geschichten in Ihrer Einrichtung eine große Bedeutung. Doch es gibt Bilderbücher und Geschichten, die Vorurteile, stereotype Bilder oder einseitige Botschaften vermitteln. Überprüfen Sie deshalb Ihr Medienangebot. Dazu gehören auch Bilder oder Fotos, die Sie z. B. in Ihrer Gruppe aufhängen.

Mit Ihrer vorurteilsbewussten Erziehung arbeiten Sie gegen Vorurteile. Davon profitieren nicht nur die Kinder, sondern auch Sie selbst. Sie kommen dem einen oder anderen Vorurteil auf die Spur und können dieses korrigieren. So gewinnen sie sicher neue und positive Eindrücke von ihrer Umgebung. Und die Kinder können von Anfang an lernen, dass jeder Mensch das Recht auf ein gelungenes Leben hat und Armut oder andere Benachteiligung kein Naturgesetz sind. So leisten Sie neben der Erziehung in der Familie vielleicht den wichtigsten Beitrag für die Kinder zu einem respektvollen Umgang miteinander – ohne Ausgrenzung und Vorurteile!


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