
AD(H)S bei Kita-Kindern: Herausforderungen verstehen und meistern
Kinder mit ADHS benötigen eine gut durchdachte Alltagsroutine, um Stress zu minimieren und sich auf bevorstehende Aktivitäten vorzubereiten. Für Sie als Erzieher ist es dabei besonders herausfordernd, Kinder mit ADHS oder ADS in die Kita zu integrieren. Die Kinder haben besondere Bedürfnisse, weichen in ihrem Verhalten von neurotypischen Kindern ab und erfahren in der Kita häufig schneller Ausgrenzungen.
Doch wie gelingt es, einen verlässlichen Tagesablauf für Kinder mit ADHS zu schaffen? Welche Regeln und Strukturen helfen wirklich? Und wie können Sie, zusammen mit den Eltern, den Alltag des Kindes gemeinsam erfolgreich gestalten?
In diesem Artikel erkunden wir die wichtigsten Informationen, die Sie als Erzieher kennen müssen, um Kindern mit ADHS im Alltag bestmöglich zu helfen. Seien Sie gespannt auf praxisnahe Tipps, die dazu beitragen, eine harmonische und förderliche Umgebung im Kindergarten zu schaffen.
Was ist ADHS?
ADHS ist die Abkürzung für „Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung“. Kinder mit ADHS werden häufig als „Zappelphilipp“ bezeichnet, da sie sehr impulsiv sind, Schwierigkeiten haben, still zu sitzen und häufig überdreht wirken. Zu den typischen ADHS-Hauptsymptomen gehören laut dem Bundesministerium für Gesundheit:
- Impulsivität (unüberlegtes Handeln)
- Hyperaktivität (übersteigerter Bewegungsdrang)
- Aufmerksamkeitsstörung (gestörte Konzentrationsfähigkeit)
ADHS äußert sich bei jedem Kind unterschiedlich. Nur weil ein Kind gelegentlich zappelig ist, hat es nicht gleich ADHS. Eine solche Diagnose wird nur von Psychologen und Fachärzten. Die Prävalenz von ADHS liegt laut aktuellen Studien bei etwa 5 % aller Kinder – dabei ist die Diagnosehäufigkeit in den letzten Jahren deutlich gestiegen.
ADHS ist nicht, wie eine Zeitlang angenommen, auf Erziehungsfehler zurückzuführen. Die Ursache für ADHS liegt in organischen Veränderungen im Gehirn – Kindern mit ADHS fehlen im Gehirn bestimmte Botenstoffe wie Noradrenalin und Dopamin, wodurch die Signalübertragung gestört ist. Das führt zu Kernsymptomen wie mangelnder Impulskontrolle, Konzentrationsschwäche und der Schwierigkeit, Reize zu filtern.
Verhalten: Woran erkennt man ADHS bei Kindern?
ADHS kann sich auf unterschiedliche Weise äußern:
- Starker Bewegungsdrang
- Exzessives Sprechen
- Das Kind unterbricht andere beim Sprechen
- Das Kind platzt mit Antworten heraus, bevor die Frage zu Ende gestellt wurde
- Probleme beim Zuhören
- Das Kind ist ungeduldig und kann nicht abwarten, bis es an der Reihe ist oder reagiert impulsiv auf jede Aufforderung, ohne die Situation abzuwarten
- Das Kind bricht Aufgaben schnell ab und verliert das Interesse
- Konzentrationsschwierigkeiten und ausgeprägte Konzentrationsschwäche
- Schwierigkeiten sich zu organisieren
- Exzessives klettern
- Wenig Reaktion auf Ermahnungen, nach wenigen Sekunden wieder unruhig
- Plötzliche und unüberlegte Handlungen, ohne die Folgen bedenken
- Unaufmerksamkeit, sowohl in Gruppensituationen als auch bei einzelnen Beschäftigungen
Was ist ADS?
Während sich ADHS bei Kindern häufig in hyperaktivem Verhalten äußert, sind Kinder mit ADS schwerer auszumachen. Sie sind:
- Ruhig
- Schüchtern
- Langsam
- Verträumt
- Ängstlich
Auf den ersten Blick fällt meist nicht auf, dass sie nicht neurotypisch sind – dabei benötigen sie ebenso wie Kinder mit ADHS eine besondere Betreuung. Denn Kinder mit ADS gelten wie Kinder mit ADHS als neurodivergent und benötigen ein hohes Maß an individueller Zuwendung.
Weitere Anzeichen von ADS, die auch bei ADHS auftreten, sind:
- Keine emotionale Stabilität
- Aufbrausendes Verhalten
- Leichte Ablenkbarkeit
- Trödeln und ein schlechtes Zeitmanagement
- Probleme mit der Feinmotorik
- Konzentrationsschwäche
- Vergesslichkeit
Welche Besonderheiten gibt es bei ADHS im Kindergartenalter?
Im Kindergartenalter tritt meist eine zusätzliche Symptomatik auf, die für Kinder, Eltern und Sie als Erzieher belastend sind: Die Kinder fallen durch aggressives Verhalten auf, halten sich nicht an Regeln und geraten häufig in Konflikte.
Weitere typische Auffälligkeiten:
- Die Kinder sind schnell wütend und leicht reizbar.
- Sie geraten in körperliche Auseinandersetzungen – häufig auch nach kleinster Aufforderung oder Frustration
- Provokation untereinander
- Sie suchen Fehler bei anderen
- Häufige Drohungen in Konfliktsituationen
- Geringer Wortschatz oder Schwierigkeiten, Laute zu bilden.
- Probleme beim Klettern oder Basteln
- Schwierigkeiten, Muster zu erkennen oder sich Gesichter zu merken
Was bedeutet eine AD(H)S-Diagnose bei Kindern für das Umfeld und für das Erwachsenenleben?
Für die Familien und das Umfeld ist die Diagnose von ADHS oder ADS eine Belastung, denn der Weg zur Diagnose ist oft lang. Wird die Störung nicht als solche erkannt und/oder nicht behandelt, sind häufig Probleme in der Schule, im Jugendalter sowie im Erwachsenenalter die Folge. Solche Folgesymptome lassen sich verhindern, indem sowohl Eltern als auch Sie als Erzieher in der Kita bei verhaltensauffälligen Kindern Feingefühl beweisen.
Werden ADS oder ADHS im Kindergartenalter erkannt und behandelt, so haben diese Kinder in der Regel eine gute Prognose für ihr Erwachsenenleben. Mit früher Unterstützung haben die Kinder gute Entwicklungschancen. Sie sind häufig kreativ, empathisch und sensibel für Ungerechtigkeit – Eigenschaften, die Sie oder die Eltern im richtigen Rahmen stärken können.
Wie können Kinder auf ADHS getestet werden?
Zur ersten Einschätzung können Fragebögen helfen. Auch Beobachtungsbögen in der Kita liefern Hinweise. Wichtig ist: Symptome müssen über mindestens sechs Monate bestehen. Dabei ist eine Zusammenarbeit mit Eltern oder Großeltern sehr wichtig. Liegen mehrere Hinweise vor, müssen die Eltern eine kinder- und jugendpsychiatrische Praxis aufsuchen. Die steigende Diagnosehäufigkeit zeigt, wie wichtig eine frühzeitige Abklärung ist.
Wie kann der Beobachtungsbogen in der Kita dazu beitragen, ADHS zu erkennen?
Als Erzieher kommt Ihnen in der Kita die Rolle zu, die Kinder zu beobachten und diese Beobachtungen auch zu dokumentieren. In der Regel geschieht dies einmal im Jahr. Setzen Sie die Intervalle kürzer, sind die Beobachtungen und insbesondere die Veränderungen der Kinder in der Regel noch besser deutlich.
Über solche Beobachtungsbögen lassen sich auch erste Rückschlüsse treffen, ob ein Kind möglicherweise unter ADHS leidet. Stehen darin über längere Zeiträume immer wieder dieselben Verhaltensauffälligkeiten, sprechen Sie mit den Eltern des Kindes.
Bei bereits mit ADHS diagnostizierten Kindern trägt der Bogen dazu bei, zu überprüfen, wie sich ein Kind entwickelt. Außerdem lässt sich analysieren, ob die Verhaltensauffälligkeiten aufgrund des sensibilisierten Umgangs zurückgehen.
10 Tipps für Erzieher für den Umgang mit ADHS-Kindern in der Kita
Als Erzieher oder Erzieherin leisten Sie einen zentralen Beitrag, wenn es um den Umgang mit Kindern mit ADHS in der Kita geht.
Tipp 1 – Spielen und Lernen in der Gruppe strukturieren: Kinder mit ADHS haben häufig Probleme, sich selbst zu regulieren. Kurze, klar gegliederte Einheiten helfen bei der Regulation von Impulsivität und Unruhe. Gestalten Sie das Spielen und Lernen in der Kita-Gruppe so, dass auch Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit-Störung daran teilnehmen können. Das stärkt das Gruppengefühl und gibt Kindern mit ADHS das Gefühl dazuzugehören.
Tipp 2 – Reize minimieren: Kinder mit ADHS haben Probleme, Reize zu filtern. Minimieren Sie diese, wenn die Kinder zum Beispiel etwas lernen oder still für sich spielen. Dann helfen Sie den Kindern direkt dabei, sich besser zu konzentrieren. Auch kurze, klare und möglichst unkomplizierte Arbeitsanweisungen sind für die Kinder wichtig. Zusätzlich sollte auch die Bildschirmzeit zuhause und im Kita-Alltag bewusst begrenzt werden – ein Übermaß kann die Konzentrationsschwäche weiter verstärken.
Tipp 3 – Bewegung draußen fördern: Frische Luft und Bewegung steigert die Konzentrationsfähigkeit von Kindern mit ADHS deutlich. Räumen Sie den Kindern daher reichlich Zeit ein, draußen zu toben, ihrem Bewegungsdrang nachzugehen und an der frischen Luft zu sein. Das wirkt sich positiv auf anschließende Tätigkeiten aus, die Konzentration und Aufmerksamkeit benötigen.
Tipp 4 – Regeln aufsetzen und mit Fehlern konsequent umgehen: Für Kinder mit ADHS können Sie grundsätzlich Ausnahmeregelungen einführen. Allerdings ist es gerade für Kinder mit ADHS wichtig, negative Konsequenzen bei Regelbrüchen auch zügig und regelmäßig zu erfahren. Erfolgen die Konsequenzen nur selten und unregelmäßig reagieren die Kinder nicht. Machen Sie sich darum im Vorfeld Gedanken, in welcher Situation Sie mit welchen Konsequenzen reagieren wollen – etwa bei wiederholter Missachtung mit klaren Regeln oder direkten Aufforderungen.
Tipp 5 – Loben, loben, loben: Kinder mit ADHS erfahren häufig viel Ablehnung, Streit und negative Rückmeldung aufgrund ihres auffälligen Verhaltens. Sie zu loben, wann immer sie etwas gut gemacht haben, ist daher umso wichtiger. Diese positive Verstärkung wird vom Kind gebraucht und hilft dabei, Selbstvertrauen zu entwickeln.
Tipp 6 – Positiver Umgang: Auch wenn der Umgang herausfordernd ist, bleiben Sie stets professionell. Das (Fehl)Verhalten nicht als böse Absicht deuten, denn Kinder mit ADHS haben ihre Emotionen häufig nicht unter Kontrolle und können häufig nicht anders handeln. Das ist wichtig für die Kinder, um ihr Selbstvertrauen zu stärken, da sie sonst häufig viele negative Rückmeldungen erhalten. Dabei ist Lob und Wertschätzung gegenüber dem Kind zentral.
Tipp 7 – Andere Kinder sensibilisieren: Den anderen Kindern klarzumachen, welche Schwierigkeiten ein Kind mit ADHS hat, hilft dabei sie für den Umgang untereinander zu sensibilisieren. Erklären Sie kindergerecht, ohne zu stigmatisieren, denn nur so stärken Sie das soziale Miteinander in der Gruppe.
Tipp 8 – Mit den Eltern zusammenarbeiten: Sich mit den Eltern von Kindern mit ADHS auszutauschen ist wichtig, schließlich prägt nicht nur das heimische Umfeld, sondern auch das Umfeld in der Kita die Kinder. Regelmäßige Gespräche mit den Eltern – auch außerhalb formeller Entwicklungsgespräche – fördern das Vertrauen, verbessern die Zusammenarbeit und helfen dem betroffenen Kind.
Tipp 9 – Teamwork: Arbeiten Sie im Team, wenn es um verhaltensauffällige Kinder geht. Sich gegenseitig Tipps geben, über den Umgang mit dem Kind auszutauschen und Regeln gemeinschaftlich durchzuziehen, nimmt Ihnen den Druck, allein für das Kind verantwortlich zu sein. Es gibt auch Kindern ein gutes Gefühl, wenn die Kita einen sicheren Rahmen bietet, indem nicht nur Sie, sondern auch andere Erzieher die speziellen Bedürfnisse kennen und auf das Kind gut eingehen. Gibt es Teamkonflikte, die eine zielgerichtete Zusammenarbeit behindern?
Lesen Sie hierzu unseren Beitrag zum Thema Konflikte im Team.
Tipp 10 – Über ADHS informieren: Sich über ADHS und auch ADS zu informieren und zu wissen, welche Verhaltensmuster und Kernsymptome mit den neurologischen Störungen einhergehen hilft Ihnen, mit den Kindern besser umzugehen und sie zu verstehen.
Wie kann der Beobachtungsbogen in der Kita dazu beitragen, ADHS zu erkennen?
Als Erzieher kommt Ihnen in der Kita die Rolle zu, die Kinder zu beobachten und diese Beobachtungen auch zu dokumentieren. In der Regel geschieht dies einmal im Jahr. Setzen Sie die Intervalle kürzer, sind die Beobachtungen und insbesondere die Veränderungen der Kinder in der Regel noch besser deutlich.
Über solche Beobachtungsbögen lassen sich auch erste Rückschlüsse treffen, ob ein Kind möglicherweise unter ADHS leidet. Stehen darin über längere Zeiträume immer wieder dieselben Verhaltensauffälligkeiten, sprechen Sie mit den Eltern des Kindes.
Bei bereits mit ADHS diagnostizierten Kindern trägt der Bogen dazu bei, zu überprüfen, wie sich ein Kind entwickelt. Außerdem lässt sich analysieren, ob die Verhaltensauffälligkeiten aufgrund des sensibilisierten Umgangs zurückgehen.
Kinder mit ADHS: Was können die Eltern tun?
Bestenfalls befassen sich die Eltern intensiv mit der neurologischen Störung, um zu verstehen, warum ihr Kind in manchen Situationen so reagiert, wie es reagiert. Bevor die Eltern selbst in den Teufelskreis geraten, hilft es, sich vor Augen zu führen, dass das Kind sein Verhalten nicht absichtlich an den Tag legt, sondern in der Situation nicht anders kann. Sprechen Sie sich mit den Eltern ab und helfen Sie bei den Maßnahmen – siehe Infoportal für ADHS – mit:
- Einen strukturierten Tagesablauf etablieren
- Auf starke Anspannung hin auch den Raum für Entspannung einräumen
- Lob und Anerkennung, bereits für kleinere Erfolge
- Den Kindern realistische Ziele setzen
- Klare Regeln und Aufforderungen formulieren, Konsequenzen bei Regelverstößen festlegen und verlässlich umsetzen
- Klare Anweisungen geben
- Reizsignale erkennen und darauf reagieren
- Zeit für Hobbys, Bewegung und möglichst reduzierte Bildschirmzeit einräumen
Um die familiären Belastungen und Spannungen, die mit ADHS einhergehen, besser abzufedern und sich im Umgang mit dem Kind zu bessern, hilft ein Elterntraining, das Eltern von Kindern mit ADHS absolvieren können. Das Elterntraining gibt Anregungen und konkrete Tipps für den Alltag, die dabei helfen, diesen besser zu bewältigen. Das Elterntraining ist in der Regel keine Kassenleistung – für Familien, die es sich leisten können, ist es in der Regel sehr hilfreich, professionelle pädagogische und psychologische Tipps zu erhalten, wie sie ihr Kind mit ADHS unterstützen können. Auch ein Integrationshelfer kann für Kinder mit ADHS eine wertvolle Hilfe sein.
Fazit: So unterstützen Sie Kinder mit AD(H)S im Kita-Alltag
Als Erzieher stehen Sie bei AD(H)S-Kindern vor einer anspruchsvollen, aber lösbaren Aufgabe. Entscheidend ist, die Kinder nicht über ihr Verhalten zu definieren, sondern ihre Bedürfnisse zu verstehen. Ein strukturierter Tagesablauf, klare Regeln, kurze Anweisungen und wiederkehrende Routinen helfen, den Alltag zu stabilisieren. Durch positive Verstärkung, Bewegungsangebote und das Minimieren von Reizen fördern Sie gezielt die Konzentrationsfähigkeit.
Gleichzeitig ist es Ihre Aufgabe, Kinder mit AD(H)S in ihrer Neurodivergenz wertzuschätzen und in ihrer Persönlichkeit zu stärken – etwa durch gezielte Stärkenorientierung. Frühzeitige Beobachtungen, ein transparenter Austausch mit den Eltern und die enge Zusammenarbeit im Team helfen dabei, den oft belastenden Teufelskreis aus Frust, Ablehnung und Auffälligkeiten zu durchbrechen.
Auch wenn die Prävalenz von AD(H)S steigt und die Diagnosehäufigkeit zunimmt, bleibt der Blick auf das einzelne Kind entscheidend. Mit Geduld, Struktur und Empathie gelingt es Ihnen, betroffene Kinder individuell zu begleiten und ihnen eine wertvolle Teilhabe am Kita-Alltag zu ermöglichen.