Geschichtenwerkstatt: In 5 Schritten zu den schönsten Kindergeschichten


09.05.2018

Kindergeschichten werden meist spontan verlangt: Ich saß mit einigen Kindern im Wald auf Baumstämmen, als ich gebeten wurde: „Bitte, erzähle uns eine Geschichte!“ Sofort sahen mich viele Augenpaare flehentlich an. „Ja, eine mit einem Roboter!“ „Und mit einer Prinzessin!“ Die Atmosphäre, unter dem Blätterdach einträchtig auf den Baumstämmen sitzend, verlangte tatsächlich nach einer Geschichte. Nur woher sollte ich so spontan eine hernehmen – noch dazu eine mit Roboter und Prinzessin? Die Kinder wussten es sofort: „Denk dir eine aus!“

Kindergeschichten entstehen im Kopf

Mittlerweile ist unsere Geschichtenwerkstatt vom Wald in die Kita umgezogen. Sie hat bei uns einen festen Platz bekommen, und wie in einer Werkstatt üblich, arbeiten alle an den Geschichten mit. Es ist immer wieder erstaunlich, was in dieser Werkstatt so alles passieren kann!

Habe ich Sie neugierig gemacht? Dann möchte ich Sie teilhaben lassen an meinen mittlerweile deutlich ausgefeilteren Erfahrungen rund um das Geschichten-Erfinden mit Kindern und für Kinder.

Warum Kindergeschichten erfinden, wenn es so viele Bücher gibt?

Vermutlich gibt es kein Thema, über das noch kein Kinderbuch geschrieben wurde. Warum sollten Sie sich also die Mühe machen, noch mehr Geschichten zu erfinden? Weil Ihre Fantasie und die der Kinder noch viel mehr hergeben! Zudem hat das mündliche Erzählen eine lange Tradition. Die Erzählkunst ist wohl so alt wie die Menschheit selbst.

In Ihrer Kita bietet das Erzählen eine gute Ergänzung zu Ihrer Literacy-Erziehung. Es macht den Kindern Lust auf Geschichten und damit auch auf Bücher. Und Kinder, die noch wenig Deutsch sprechen, werden behutsam an die Sprache herangeführt. Mit dem Erzählen und vor allem dem gemeinsamen Erfinden von Geschichten fördern Sie viele wichtige Kompetenzen der Kinder, z. B.:

  • Zuhören und Konzentration
  • Sprache und Ausdruck
  • Empathie und Kooperationen
  • Fantasie und Kreativität

1. Schritt: Stimmen Sie sich auf das Geschichtenerfinden ein

„Mir fällt bestimmt nichts ein!“ oder „Ich bin mit Worten gar nicht kreativ!“ mögen Sie jetzt vielleicht noch denken. Schieben Sie solche Gedanken ganz bewusst beiseite. Denn sie machen eng im Kopf, blockieren Sie damit und setzen Sie unter Druck. Beim Erfinden von Geschichten ist all das aber gar nicht nötig! Denn der Weg ist das Ziel, nur das Erfinden und das Erzählen selbst sind wichtig. Und dabei sind Sie nicht allein, denn die Kinder sind Ihre aktiven Begleiter. Und Sie können sicher sein: Sie haben keine Schranken im Kopf!

Wenn Sie Bedenken haben, mit dem freien Erzählen einfach loszulegen, nutzen Sie zum „Aufwärmen“ folgende Methoden:

  • Nehmen Sie ein Bilderbuch zur Hand, das die Kinder noch nicht kennen. Erzählen Sie die Geschichte zu den Bildern mit Ihren eigenen Worten.
  • Unterbrechen Sie das Vorlesen eines Bilderbuches am Wendepunkt der Geschichte. Fragen Sie die Kinder, was sie jetzt tun oder wie sie sich entscheiden würden. Wie ginge dann die Geschichte weiter?

2. Schritt: Schaffen Sie eine Erzählatmosphäre

Lassen Sie sich selbst und den Kindern Zeit, die richtige Atmosphäre entstehen zu lassen. Dazu müssen Sie Ihren Alltag verlassen und in den Zauber einer Geschichte eintauchen. Ganz einfach gelingt Ihnen das, indem Sie diesen Wechsel deutlich vollziehen. Und so werden Ihr Kopf und der der Kinder frei für Kreativität und Fantasie:

  • Gestalten Sie mit den Kindern eine gemütliche Ecke mit Kissen, Polstern, besonderem Licht, einer (Zauber-)Kerze oder einem besonderen Duft, die in dieser Gestaltung nur zum Geschichtenerzählen genutzt wird.
  • Gehen Sie durch eine Geschichten-Tür, z. B. indem Sie an einen Gymnastikreifen bunte Bänder knoten und alle Kinder durchsteigen lassen.
  • Gestalten Sie ein Ruhe-Ritual, z. B. das Erklingen einer Triangel oder eines Glockenspiels, ein gemeinsames Lied, etwa statt „Wer will mit zur Oma fahren …“ „Wer will ins Geschichten-Land fahren …“ oder das Entzünden der Kerze.

3. Schritt: Gehen Sie auf die Bedürfnisse der Kinder ein

Die Kinder werden Ihre und die gemeinsam erfundenen Geschichten besonders lieben, wenn sie ihren individuellen Bedürfnissen entsprechen. Beobachten Sie deshalb im Alltag ganz bewusst, womit sich die Kinder beschäftigen:

  • Was bauen sie in der Konstruktionsecke oder im Werkraum?
  • Was wird in der Theater- und Puppenecke gespielt?
  • Was malen oder basteln die Kinder?
  • Worüber unterhalten sich die Kinder? Was erzählen sie im Morgenkreis?

Machen Sie sich dazu formlos Notizen. Diese können Sie dann als Stichworte für Ihre Geschichten nutzen.

Ganz allgemein gilt: Je jünger die Kinder, desto stärker sollte sich die Geschichte an ihrer Lebenswelt orientieren. Bis zum Alter von etwa 4 Jahren lieben Kinder Wiederholungselemente, z. B. den immer gleichen Satz des Helden oder die sich immer wiederholende Frage des Kindes in der Geschichte. Beim Erzählen für Kinder bis 4 Jahren sollten Sie zudem darauf achten, dass die Geschichte überschaubar bleibt. Dabei reichen neben der Hauptfigur noch 2–3 Nebencharaktere und die Geschichte sollte sich linear, also nacheinander abspielen. Erst Kinder ab 5 Jahren können komplexeren Erzählstrukturen, wie z. B. Vor- und Rückblenden, folgen und erfinden oft selbst verschachtelte Geschichten. Zusammenhänge, die mit „weil …“, „obwohl …“ oder „trotzdem …“ deutlich gemacht werden, gehören dazu.

Kinder jeden Alters lieben es spannend. In der Geschichte muss also etwas passieren, es sollten Hindernisse und Konflikte eingebaut sein. Auch die Emotionen dürfen nicht zu kurz kommen. Die Kinder von 3–6 Jahren sind sehr empathisch, sie leiden und freuen sich mit den Helden mit.

4. Schritt: Nutzen Sie ein Gerüst für Ihre Geschichten

Kennen Sie das noch vom Aufsatzschreiben in der Schule: Einleitung, Hauptteil, Schluss? Dieses Gerüst passt immer noch für jede Ihrer Geschichten:

  • In der Einleitung stellen Sie die Hauptperson und alle weiteren Figuren vor.
  • Im Hauptteil steigert sich die Geschichte hin zu einem Konflikt oder Hindernis als Höhepunkt. Am Wendepunkt der Geschichte wird das Problem gelöst.
  • Am Schluss finden alle zu einem „Happy End“. Ein solch glücklicher Ausgang der Geschichte ist für die Kita-Kinder noch sehr wichtig.

Wenn Sie mit den Kindern gemeinsam eine Geschichte erfinden, ist es hilfreich, sich anhand einiger Fragen ein Geschichten- Gerüst zu bauen. Die entsprechenden Fragen finden Sie im Kasten. Diesen können Sie kopieren und als Gedankenstütze auch während des Erzählens nutzen.

Vorlage: Geschichten-Gerüst für Geschichten-Erfinder

Stellen Sie diese Fragen:

  • Wo spielt unsere Geschichte?
  • Wer lebt an diesem Ort?
  • Wer ist unser Geschichten-Held?
  • Wie ist sein Aussehen, sein Charakter?
  • Was tut unser Geschichten-Held?
  • Wer stellt sich ihm entgegen?
  • Welches Problem oder Hindernis gibt es?
  • Wie überwindet unser Geschichten-Held das Problem oder Hindernis?
  • Wie geht unsere Geschichte aus?
  • Wo endet unsere Geschichte?

5. Schritt: Schaffen Sie Raum für Abwechslung

Folgende Übungen und Methoden haben sich besonders bewährt, um spannende und kreative Geschichten-Momente zu entwickeln. Alle fördern das freie Erzählen, die Fantasie und besonders natürl ich die Sprache. Wie und wann Sie diese am besten einsetzen, finden Sie ebenfalls in derobenstehenden Übersicht.

Übersicht: Ideen- und Methodensammlung zum freien Erzählen mit Kindern

Ideen für ein lockeres Warm-up:

  • Laden Sie die Kinder ein, einen beliebigen Gegenstand aus dem Gruppenraum in die Erzählecke mitzubringen. Dann begrüßen Sie die Kinder mit folgender kurzer Geschichte: „Ihr alle seid losgezogen, um Abenteuer zu bestehen. Ich bin sehr froh, euch alle wieder heil und unversehrt hier zu sehen. Doch ihr alle habt einen besonderen Gegenstand mitgebracht, der von euren spannenden Erlebnissen erzählt. Wer möchte beginnen?“ Dann stellen die Kinder der Reihe nach ihren Gegenstand vor, wobei der Legostein natürlich zum Goldbarren und der Suppenlöffel zum magischen Spiegel wird.
  • Danach stellt jedes Kind seinen Gegenstand unkommentiert in den Kreis. In der Mitte wird dann ein Pfeil oder auch eine Flasche gedreht. Sie beginnen mit der 1. Runde: Mit dem Gegenstand, auf den der Pfeil oder eine Flasche zeigt, beginnt die Geschichte. Dann darf ein Kind drehen, das die Handlung anhand des nächsten Gegenstandes weiterspinnt. Wenn jedes Kind dran war, erfinden Sie gemeinsam mit dem letzten Drehen das Ende.

Erzählen mit Bildern:

  • Welche Bilderbücher lieben die Kinder aktuell? Welche Figuren in den Büchern mögen die Kinder besonders? Kopieren Sie diese heraus und laminieren Sie die Bilder. Eventuell können Sie dahinter noch einen Stock befestigen wie Puppen in einem Stocktheater. Wählen Sie zunächst eine Figur aus und überlegen Sie gemeinsam mit den Kindern, was ihnen dazu einfällt: „Was mag das für ein Mädchen, Tier oder Fantasiewesen sein? Was kann es wohl gut, was nicht? Was mag diese Figur, was nicht, welche Wünsche mag sie haben?“ Dann kommt eine 2. Figur aus einem anderen Buch dazu. Was passiert bei diesem Überraschungstreffen?
  • Nehmen Sie ein bekanntes Bilderbuch zur Hand und die Kinder erzählen die Geschichte in eigenen Worten. Die Kinder werden es lieben, anderen „vorzulesen“! Spannend ist dies natürlich auch bei einem unbekannten Bilderbuch.

Kleine eigene Geschichten:

  • Zuerst wählen Sie ein Bild aus, z. B. aus einem Buch, ein Kalenderblatt, ein Foto usw. Die Kinder beschreiben zunächst, was sie auf dem Bild sehen. Vertiefen Sie die Sinneseindrücke, indem Sie nachfragen, wie es riecht, was zu hören ist, wie es sich anfühlen mag usw. Ist eine Handlung auf dem Bild zu sehen, stellen Sie die Impulsfragen: „Was mag vorher passiert sein, wie geht es weiter?“
  • Die Kinder lieben Quatsch- und Blödelnamen. Greifen Sie einfach ein besonderes Exemplar auf oder nennen Sie einen eigenen, z. B: „Wer kennt denn die saure Sauselaus?“ „Was mag das sein, wie sieht es aus, was kann passieren?“ Schon sind Sie mitten in einer eigenen Geschichte.
  • Lassen Sie eine Geschichte aus einem Puzzle entstehen. Dazu verwenden Sie z. B. ein einfaches Steckpuzzle mit Knöpfen an den Teilen, zerschneiden ein Bild oder eine Kopie in die verschiedenen Gegenstände. Dann legen die Kinder die Teile in eine bestimmte Reihenfolge. Jetzt wird anhand der Reihenfolge gemeinsam eine Geschichte erzählt.

Mein Fazit

Treten Sie also ein und tauchen Sie ab in das Land der Geschichten. Sie werden diese Inseln im Alltag sicher ebenso genießen wie die Kinder! Integrieren Sie die Inseln auch jetzt im Sommer gekonnt in Ihren Kita-Alltag. Verlagern Sie Ihre Erzählrunde einfach mal nach draußen!


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